BAG-Urteil vom 15. Mai 2012, 3 AZR 11/10

Altersgrenzen in der betrieblichen Altersversorgung

30.3.2012

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit diesem Schreiben möchten wir Sie zum Thema betriebliche Altersversorgung über ein jüngst veröffentlichtes Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) mit weitreichenden Aus­wirkungen auf bestehende betriebliche Versorgungsverpflichtungen informieren.

Das BAG hat mit Urteil vom 15. Mai 2012 (Az: 3 AZR 11/10) nunmehr dazu Stellung ge­nommen, wie sich die in Stufen erfolgende Anhebung des gesetzlichen Rentenalters von 65 auf 67 durch das RV- Altersgrenzenanpassungsgesetz im Rahmen der betrieblichen Altersver­sorgung auswirkt.

„Stellt eine vor dem RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz (im Wesentlichen in Kraft getreten am 01.01.2008) entstandene Versorgungsordnung für den Eintritt des Versorgungsfalles auf die Vollendung des 65. Lebensjahres ab, so ist diese Versorgungsordnung regelmäßig dahingehend auszulegen, dass damit auf die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nach §§ 35, 235 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Bezug genommen wird.“

Nach bislang herr­schender Meinung hatte die Erhöhung der Regelaltersgrenze in der gesetz­lichen Rentenversicherung (gRV) grundsätzlich keine Auswirkungen auf ein in der Versorgungs­zusage vertraglich vereinbartes Pensions­alter von 65 Jahren. Es galt unter Verweis auf den ein­deutigen Wortlaut der Versorgungszusage bislang weiter das vertraglich vereinbarte Pensionsalter. Das BAG hat sich mit dem o.g. Urteil nunmehr der Gegenauffassung angeschlossen, die in der Benennung der „festen Altersgrenze 65“ einen dynamischen Verweis auf die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Renten­ver­sicherung annimmt, so dass die betriebliche Altersgrenze mit der gesetzlichen Regel­altersgrenze „mitwandert“.

Betroffen von der Entscheidung des BAGs sind grundsätzlich Versorgungszusagen, die als feste Altersgrenze die Vollendung des 65. Lebensjahres vorsehen und vor dem Inkraftreten des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes am 01.01.2008 erteilt wurden. Konsequenzen aus dem Urteil ergeben sich für betriebliche Versorgungsverpflichtungen in erster Linie bei der Ermittlung von gesetzlich unverfallbaren Anwartschaften im Rahmen von vorzeitig ausscheidenden Mit­arbeitern nach § 2 Abs. 1 Betriebsrentengesetz (BetrAVG). Hierüber urteilte das Gericht auch unmittelbar im entschiedenen Fall.

Die vom BAG zugrunde gelegte Auslegungsregel kann aber auch Folgen für den Bezugs­zeitpunkt der (abschlagsfreien) Altersleistung bzw. die Höhe möglicher Abschläge bei vorzeitigen Alters­leistungen, die Anrechnung versorgungsfähiger Dienstzeiten und den Versorgungsausgleich haben. Hierzu und zu weiteren Fragen hat sich das Gericht nicht geäußert. Unbeantwortet lässt das Gericht auch Fragen nach der Behandlung bereits ausgeschiedener Mitarbeiter bzw. Rentner.

Ob überhaupt bzw. wie die Grundsätze des Urteils auf eine Versorgungsregelung anzuwenden sind, kann nicht pauschal beantwortet werden. Die konkrete Ausgestaltung sowie die Umstände im Einzelfall müssen betrachtet werden, um eine Aussage treffen zu können, ob eine Auslegung der konkreten Regelung zur Altersgrenze in obigem Sinne zutreffend ist oder ob Gründe für eine andere Einschätzung vorliegen. Zwingend ist die Auslegung des BAG nicht, zumal dem Urteil ein Gesamtversorgungssystem zugrunde lag.

Kein Handlungsbedarf haben Arbeitgeber, die in ihren Versorgungsbestimmungen ihre Alters­grenze ausdrücklich geregelt haben oder die Anhebung der gesetzlichen Regelalters­grenze für das betriebliche Versorgungssystem bereits umgesetzt haben. Für alle anderen Arbeitgeber ist aus Gründen der Rechtssicherheit eine Klarstellung zu empfehlen.

Kommt eine Anwendung des Urteils auf die Versorgungsregelung in Betracht und haben die Parteien bei Errichtung des Versorgungssystems die Altersgrenze von 65 Jahre gemeint, ist eine schriftliche Dokumentation und eine Entscheidung für zukünftige Versorgungszusagen zu empfehlen. Dies vor allem auch im Hinblick auf das Schriftformerfordernis für die Ermittlung der steuerbilanziellen Pensionsrück­stellungen bei unmittelbaren Versorgungszusagen.

Besteht die Auffassung, dass eine dynamische Verweisung auf die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung dem Parteiwillen entsprach, sollte die Versorgungsregelung entsprechend überarbeitet werden und dabei auch alle dadurch beeinflussten Bestimmungen geprüft und bei Bedarf dahin gehend geändert werden, dass sich eine klare und eindeutige Regelung ergibt. Hierbei sind aber dennoch auch die arbeitsrechtlichen Grundsätze der Abänderbarkeit einer Versorgungsregelung zu beachten.

Wie das BAG über die Folgefragen in der Zukunft entscheiden wird und ob hierdurch wieder Einschränkungen bei der Umsetzung der dynamischen Verweisungen zu erwarten sind, kann derzeit nicht abgesehen werden. Wartet der Arbeitgeber allerdings nur ab, könnte sein Handeln, z.B. bei jetzt vorzeitig ausscheidenden Mitarbeitern oder Rentnern, ausgelegt werden und je nach dem als betriebliche Übung verstanden werden.

Sollten Sie hierzu Fragen oder Beratungsbedarf haben, bieten wir Ihnen gerne hierzu unsere Dienste an.

Mit freundlichen Grüßen

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Hans-Joachim Kasper
Diplom-Mathematiker

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